«Die Hälfte, die ich gebe, wird die Hälfte verändern, die ich behalte»
Bernhard, Berger und die Telekom: Bemerkungen über Kunstpreise in einer kapitalistischen Welt
von Ana Kutleša und Vesna Vuković
Auf einem Gebiet, auf dem Konkurrenz auf allen Ebenen herrscht, dient ein Preis als symbolische Bestätigung des Werts und als ultimativer Beleg dessen, was man im hochgradig konkurrenzförmigen System bereits geleistet hat. Wir wissen, dass der Wettkampf sehr früh beginnt: von privatem Kunstunterricht und rigorosen Aufnahmeprüfungen für Kunstschulen, durch die die wenigen Zugelassenen schon unter die Auserwählten eingereiht werden, über den Kampf um die spärlichen Produktionsressourcen – früher in Form von Aufträgen, heute in Form von Projekten, aber auch von Ausstellungsräumen – bis hin zur Selbstbehauptung im Feld, deren endgültige Bestätigung gerade in der Form der Preisverleihung stattfindet. Aber wie hoch ihr symbolischer Wert auch sein mag und wie sehr sie auch als natürliche «Krone» einer künstlerischen Karriere anerkannt werden, so sind Preise doch nur einer der Mechanismen der heftigen Selektion und nur eine der vielen Stufen auf dem Weg zum erträumten Pantheon der künstlerischen Größen. Die Entgegennahme des Preises ist daher immer auch zugleich eine Gelegenheit, etwas aus erster Hand darüber zu sagen, wie der «Weg» zum Gewinn und der künstlerische Alltag aussehen. Wenn schon Künstler*innen als diejenigen gelten, die unsere Wirklichkeit schärfer sehen, die sich ihr nonkonformistisch nähern und sie hinterfragen sowie kühn über Alternativen nachdenken, dann ist es völlig logisch, sich auch zu fragen, wie die Künstler*innen die Preisverleihungen sehen, und besonders, wie sie das sehen, was hinter oder vor ihnen steht.
Beispiele für einen nonkonformistischen Zugang zum Thema Preisverleihungen gibt es viele, der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard ist eines von ihnen: Suhrkamp hat 2009 eine Sammlung seiner Gelegenheitsreden und autobiografischen Notizen (zusammengestellt aus dem handschriftlichen Nachlass) unter dem Titel «Meine Preise» veröffentlicht, in der dieser Autor (selbst-)ironisch mit dem kulturellen Establishment abrechnet. Neben plastischen und geistreichen Beschreibungen der Zeremonien und der karikaturhaft entblößten «Stützen der Gesellschaft» betont Bernhard regelmäßig, dass er Preise angenommen hat, weil er – Geld brauchte.
Ein weiteres Beispiel ist uns bei dieser Gelegenheit besonders wichtig, weil dieser Autor es nicht nur geschafft hat, einen Preis nonkonformistisch entgegenzunehmen, sondern sich auch doppelt tatkräftig gegen ihn bzw. das, was hinter und vor ihm steht, zu wenden. Ein Preis ist nämlich nicht nur ein feines Sieb, das die Auserwählten unter den Auserwählten passieren lässt, sondern repräsentiert als Institution auch gewisse Machtverhältnisse. Der Kunstkritiker, Schriftsteller und Maler John Berger erhielt 1972 für den Roman «G.» den prestigeträchtigen Booker-Prize. Während der Verleihung schenkte er die eine Hälfte der bedeutenden Geldsumme dem britischen Zweig der Black Panther Party als Beitrag zu ihrem Kampf gegen Neokolonialismus, Ausbeutung und Unterdrückung, und die andere Hälfte nutzte er zur Finanzierung der Produktion von «A seventh man», seiner anregenden Studie über migrantische Arbeitskräfte in Europa.
Indem er auf geschickte Weise die koloniale Ausbeutung der Karibik durch den multinationalen Konzern Booker McConell mit dem heutigen Elend der Region verband, stellte sich Berger als «revolutionärer Autor» auf die Seite der Unterdrückten, die sich «sowohl als Schwarze als auch als Arbeiter weiterer Ausbeutung widersetzen» [BERGER: S.75]. Folgendermaßen drückte er das in seiner Dankesrede bei der Preisverleihung aus: «Booker McConell hat schon seit über 130 Jahren in der Karibik große Handelsinteressen. Die heutige Armut der Karibik ist eine direkte Folge der Ausbeutung durch Booker McConell und andere. Eine der Folgen dieser karibischen Armut ist, dass Hunderttausende von Westinderinnen gezwungen waren, als migrantische Arbeiter*innen nach Großbritannien zu kommen. Daher wird mein Buch über migrantische Arbeiter*innen mit Profit finanziert werden, der direkt aus ihnen oder ihren Verwandten und Vorfahren gesaugt wurde.» [Ebd.: S.74] Berger belässt es nicht bei dieser Kritik, sondern weitet sie systematisch auf die Kultur aus, in der er herangewachsen ist, die Kultur, auf der das moderne Europa basiert und die finanziert wurde mit Profit aus dem Sklavenhandel und der Ausbeutung natürlicher und anderer Ressourcen.
Und die Geste, den Preis zu teilen, soll gerade durch ihren symbolischen Charakter zeigen, dass die Ziele der Bewegung der Black Panthers und die Ziele eines revolutionären Autors im Kampf für eine bessere Welt – die gleichen sind. Und das nicht nur auf der symbolischen Ebene. Diese Geste beeinflusste auch das nächste Projekt des Autors: «Die Hälfte, die ich weitergebe, wird die Hälfte verändern, die ich behalte» [Ebd.]. Mit diesem Projekt zählte Berger – nonkonformistisch und historisch-politisch luzide – gerade die «Sklavenhaltermentalität», die zu den Grundlagen des modernen Europas gehört, zu den Schlüsselursachen der Armut, die Wirtschaftsmigration in Bewegung setzt.
Heute, 46 Jahre nach der ersten Ausgabe von A seventh man, führt uns das Ausmaß der Flüchtlingskrise zur früheren Beschäftigung mit dem Thema der migrantischen Arbeit und ihres Umfangs damals und heute zurück. Berger selbst hat, als der Verlag Verso im Jahr 2010 eine aktualisierte Neuauflage veröffentlichte, im neuen Vorwort betont: «Manchmal kommt es vor, dass ein Buch, im Unterschied zu seinem Autor, im Laufe der Zeit eine neue Jugend erlebt. Ich denke, dass gerade das mit A seventh man geschehen ist.» Für unseren lokalen Kontext in einem Land an der europäischen Peripherie hatte dieses Buch auch deshalb besondere Bedeutung, weil viele seiner Protagonistinnen unsere Landsleute sind – Gastarbeiterinnen. Mit Zügen und Autobussen verließen (hauptsächlich) männliche Arbeiter als billige Arbeitskräfte das sozialistische Jugoslawien, das trotz seiner großen Industrie diese Abwanderung nicht verhindern konnte.
Die heutige Auswanderung im postsozialistischen Kroatien ist generationenübergreifend und leidet darunter, dass es keine Ideen für die Rückkehr und für Investitionen in die «Heimat» gibt. Sie hat daher viel gravierendere Folgen für die Zukunft der kroatischen Regionen als der Aufbruch zur Arbeit in der Fremde während des Sozialismus. Gleichzeitig, und wesentlich zu den Ursachen der heutigen Auswanderung zählend, ist der Westen zu uns gekommen – in Form eines Einfalls fremden Kapitals, was in der Praxis auf Privatisierung der gemeinsam aufgebauten Infrastruktur und der Produktionsmittel hinauslief. Im Zusammenhang mit der «Restrukturierung» großer, bis gestern noch staatlicher und gesellschaftlicher Firmen bekamen viele Arbeiter*innen «einen Korb» und packten in der Folge dann auch ihre Koffer. Vielleicht wird ihnen gerade diese selbe Firma im Westen Arbeit und Verdienst ermöglichen, die ihnen zu Hause unzugänglich sind – aber immer noch einen geringeren Verdienst als denjenigen, mit denen «einheimische» Bewohnerinnen einverstanden wären.
Ein berüchtigtes Beispiel für die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur ist die Übernahme des nationalen Telekommunikationsnetzes durch die Deutsche Telekom, die zehn Jahre nach dem Beginn des Kriegs und des Zerfalls Jugoslawiens beendet wurde und Jahre später Zeitungsspalten und Gerichtsakten füllte. Außer der völligen Aufgabe der staatlichen Kontrolle über etwas so Wichtiges wie die Telekommunikations-Infrastruktur bedeutete die Privatisierung der Kroatischen Telekom den systematischen Abbau von Arbeitsplätzen und die Verschlimmerung der Arbeitsbedingungen. So sprach beispielsweise am 23. März 2012 die privatisierte Kroatische Telekom (T-HT) 370 Kündigungen aus. Warum Sie das in diesem Text lesen? Am selben Tag, einige Stunden später, wurde im Zagreber Museum für moderne Kunst aus denselben Händen auch drei Preise an kroatische Künstler*innen übergeben. Diese Koinzidenz belegt einmal mehr den ganzen Zynismus solcher «philanthropischen Praktiken» und kann als eine weitere Kritik an der Ausnutzung des symbolischen Werts der Kunst für die Interessen des Großkapitals dienen.
T-HT hat diesen Preis 2007 eingeführt, weil es die weltweit übliche Form ist, das Bild von Firmen in der Öffentlichkeit aufzupolieren. Das Unternehmen kooperierte dabei mit dem Zagreber Museum für moderne Kunst, das sich trotz seiner symbolträchtigen Position als nationale Schlüsselinstitution für moderne Kunst mit Problemen wie nicht-adäquaten Räumlichkeiten, Personalmangel und fehlenden Mitteln herumschlägt. Drei moderne kroatische Künstler*innen haben also einen Preis erhalten, was im einheimischen Kontext eine wahre Seltenheit ist. Aber verglichen mit den mehreren Millionen an Gewinn des Unternehmens war das Preisgeld mit etwas mehr als 20.000 Euro doch eher bescheiden und klang nicht nach einem fairen Handel.
Für kroatische Künstler*innen, von denen nicht wenige versuchen, ihre Karriere im Ausland, vor allem in Deutschland, in Gang zu bringen, ist die übliche Frage, wenn sie offen aufgerufen werden, ihre Werke im Rahmen einer T-HT-Ausstellung zu zeigen, ob sich das für sie überhaupt auszahlt.
Eine Besonderheit dieser Ausstellung ist nämlich, dass T-HT und das Museum für moderne Kunst einen guten Teil der Arbeit, die für die Aufstellung der Kunstwerke nötig ist, von den Künstler*innen selbst erledigen lassen. Diese werden dafür in keiner Weise entlohnt – außer natürlich mit der Hoffnung, dass sie sich vielleicht unter den drei Preisträgerinnen finden werden. Und um die Sache für sie noch schlimmer zu machen: Bei den Preisen handelt es sich auch noch um Kaufpreise für Kunstwerke, was bedeutet, dass die ganze Sache einen spekulativen Aspekt hat. Die ausgezeichneten Künstler*innen werden sich immer fragen, ob sie ihre Arbeit auf dem internationalen Kunstmarkt besser hätten verkaufen können.
Die nicht anerkannte und unbezahlte künstlerische Arbeit und die Spekulation mit den Erlösen auf dem Kunstmarkt führen uns zurück zu Bergers «zweiter Hälfte», zu jenem Teil des Booker-Preises, den er sich entschied, in die zukünftige Produktion seiner engagierten Kunst zu investieren. In einer (kapitalistischen) Welt, die Kunst in einen mystischen Schleier hüllt, werden die Künstler*innen nicht für ihre Arbeit bezahlt, sondern man spekuliert nur mit ihren Produkten. Kunstpreise funktionieren einerseits nach einem ähnlichen Prinzip, aber sie können – vor allem wenn sie keine Kaufpreise sind und keine zusätzliche Arbeit implizieren, etwa für eine Ausstellung, die zugleich Werbung für den Stifter des Preises ist – die Preisträger*innen gleichzeitig auch «geschenkte» Zeit für künstlerische Arbeit bedeuten, die nicht von vornherein auf die Auftraggeber oder den Markt zugeschnitten werden muss. Preise können also eine Gelegenheit zur kurzzeitigen Flucht aus der Welt der kapitalistischen Konkurrenz sein.
Ana Kutleša ist Kunsthistorikerin, Vesna Vuković arbeitet als Kuratorin. Sie gehören dem Kollektiv BLOK in Zagreb an, das Jahr 2019 den Hans-und-Lea-Grundig-Preis erhielt. Übersetzung aus dem Kroatischen: Heiko Bolldorf
Quelle: Berger, John: Rede bei der Verleihung des Booker-Preises, in: ders.; Kunst und Eigentum heute und andere Essays, Zagreb 2018