Kontroverse Vorgeschichte und Neubestimmung

Die Malerin und Grafikerin Lea Grundig (1906–1977) hatte die von ihr 1972 errichtete und der Universität Greifswald übergebene (unselbständige) Stiftung mit der Vergabe des «Hans-und-Lea-Grundig-Preises» verbunden.

Auf Grundlage einer einstimmigen Entscheidung des Caspar-David-Friedrich-Instituts der Universität Greifswald wurde der Preis seit 1996 nicht mehr vergeben. Die Entscheidung gegen eine weitere Vergabe des Preises wurde mit der «staatstragenden Haltung» von Lea Grundig als Mitglied der ZK der SED und als langjährige Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler der DDR begründet.
Nachdem das Thema landespolitische Aufmerksamkeit gefunden hatte, wurde durch den Politiker der Linkspartei, MdL Prof. Dr. Wolfgang Methling, der Kontakt zwischen der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Rektor der Universität Greifswald, Prof. Dr. Rainer Westermann, hergestellt.

Mit dem Vertrag vom 9. Februar 2011 übernahm die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Hans-und-Lea-Grundig-Stiftung von der Universität Greifswald. Aus Anlass der Vertragsunterzeichnung begründete die Universität die Abgabe des Preises folgendermaßen: «Nach strukturellen Veränderungen an der Universität und neuer inhaltlicher Schwerpunkte vor allem in den künstlerischen Bereichen konnte dem ursprünglich geäußerten Stifterwillen nicht mehr entsprochen werden.» (Presseinformation der Universität Greifswald vom 9. Februar 2011).

In zwei Workshops am 18. Dezember 2013 und am 30. Januar 2014 hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit externen Expertinnen und Experten die Ausrichtung und die Rahmenbedingungen für die Vergabe des Hans-und-Lea-Grundig-Preises intensiv erörtert. Die einführenden Vorträge verschafften der Runde zunächst ein Grundverständnis von Leben und Werk von Hans und Lea Grundig, riefen die Zusammenhänge der Errichtung der Preisstiftung durch Lea Grundig und die Auseinandersetzungen an der Universität Greifswald ins Gedächtnis, führten die Institution eines Kunstpreises vor Augen und analysierten die Kunstförderungen der konkurrierenden politischen Stiftungen.

Die sich anschließende Diskussion nahm die «Vereinbarung zur Übernahme der Hans- und Lea-Grundig-Stiftung» zwischen RLS und Universität Greifswald 9. Februar 2011 zum Ausgangspunkt der Diskussion, wonach die Stiftung mit dem Ziel übernommen wird, «Kunst und Wissenschaft zu fördern» und «herausragende Leistungen auf künstlerischem, kunstwissenschaftlichem und kunstpädagogischen Gebiet zu würdigen». Die Vereinbarung enthält auch die Festlegung, dass die RLS zur Preisvergabe «einen Kriterienkatalog, der sich am Stifterwillen orientiert» erarbeitet. Da der Stifterwille nicht anders als durch diese Vereinbarung dokumentiert ist, galt die weitere Diskussion der Gewinnung dieser Kriterien, die eine zukünftige Vergabe des Preises mit den Namensgebern in Beziehung setzen.

Breiter Konsens bestand darin, dass es einer Profilierung des Preises bedürfe, der nicht einfach als der Kunstpreis der RLS wirken könne. Sowohl unter dem Aspekt der Aufgaben einer Stiftung für politische Bildung als auch angesichts der unüberschaubaren Anzahl von Kunstpreisen in Deutschland (ca. 800) bedarf es einer mit den Namensgebern verbundenen Akzentuierung, die sowohl für kunstwissenschaftliche als auch für künstlerische und kunstpädagogische (-vermittelnde) Leistungen Ansporn und Herausforderung sein können.

Die Hans-und-Lea-Grundig-Preis-Stiftung — von Lea Grundig, lange nach dem Tod von Hans Grundig errichtet und vor allem über die Problematisierung ihres politischen Wirkens von der Uni Greifswald abgegeben — steht vor dem Problem, auch dem Leben und Werk von Hans Grundig zu entsprechen. Während sich anbietet, bei Lea Grundig die beiden Pole ihres Schaffens, die Porträtkunst und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, in den Mittelpunkt zu stellen, kann bei Hans Grundig stärker auf seinen sozialen Verismus, auf seinen Realismus abgestellt werden, wodurch er nicht nur zum »entarteten Künstler« nach 1933 gestempelt wurde, sondern auch in Gegensatz zum «sozialistischen Realismus» der frühen 1950er Jahre geriet. Heute ist sein Werk, das neben das von Otto Dix gehört, in Dresden immer noch nicht angemessen gewürdigt.

Die Ergebnisse des Workshop-Verfahrens wurden vom Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 16. Mai 2014 bestätigt und von der berufenen Jury während ihrer ersten Sitzung am 3. November 2014 in der hier veröffentlichten Fassung präzisiert.