Der Grafiker Jakob Steinhardt

Anlässlich seiner Ausstellung in Tel Aviv im Juni 1947.

Man sagt, dass die Leidenschaft für den Modernismus, die viele der neuen Generation ergriffen hat, sie daran hindert, die künstlerische Größe und Vollkommenheit der Grafiken Steinhardts [1] zu verstehen. Jedoch ist Steinhardt vollkommen, denn er ist ein Künstler, der seine eigenständige und erhabene Form aus einer mutigen inneren Verbindung mit der Vergangenheit erlangt hat.

Das Lebenswerk des sechzigjährigen Künstlers umfasst Ölgemälde sowie Grafiken. Die Ausstellung im Museum war eine rein grafische Ausstellung, in der der vollständigste Teil seines künstlerischen Werkes gezeigt wurde. Um das hervorzuheben, empfiehlt es sich, ein Bild wie „Das Herauskommen aus dem Gebetshaus“ zu betrachten. Dieses kleine Blatt, das mit den begrenzten Mitteln des Holzschnitts erstellt wurde, ist ein großes künstlerisches Werk, das absolut vollendet ist. Die schwarze Fläche der Holzplatte – ein wenig angekratzt und angeschnitten, mit einer dünnen Linie zerkratzt – bebt und ist voller Leben. Und es sagt alles: Raum und Luft, Material und menschliche Seele. Man könnte noch weitere Blätter erwähnen wie „Albtraum“ (1912) oder das gefühlvolle und erhabene Bild „Drei Juden am Eingang der Siedlung“ oder „Winter“ oder „Jüdisches Dorf in Litauen“ (1920) und das gleiche Thema aus dem Jahr 1928. 

Wir finden bei dem Grafiker Steinhardt eine sehr klare und kraftvolle Entwicklung, von den ersten Blättern bis hin zu seinen letzten Werken. Die Grafik ist seine künstlerische Muttersprache, die wie eine kleine Pflanze mit kraftvollen Wurzeln wächst.

Steinhardt erhielt seine Ausbildung im Berlin von Max Liebermann und Käthe Kollwitz, im Berlin der sozialdemokratischen Bewegung. Er ist ein Mensch mit starkem sozialem Gefühl. Jedoch kommen seine entscheidenden Erfahrungen aus dem Osten, aus einer jüdischen Kleinstadt mit regem jüdischen Leben, umrahmt von jüdischer Religiosität. In ihm ruht eine tiefe Spiritualität – er „liebt seinen Nächsten wie sich selbst“, und aufgrund dieser freundschaftlichen Verbindung zu seinen Mitmenschen wurde er zu einem der Großen unter den Thematikern in Eretz Israel, die ein klares Thema in ihrer Kunst haben. Sein religiöses Empfinden verschmilzt mit dem sozialen, und daher kann er die Figur des einfachen Juden aus Osteuropa gestalten, das ist der Mensch der einfachen Arbeit. In Eretz Israel fand Steinhardt den Menschen mit religiös-gläubigen Verbindungen in den alten Vierteln von Jerusalem, in ihren Gassen und Höfen, wieder.

Nur diese tiefe soziale Ader gab ihm die Möglichkeit, die biblischen Themen mit neuem Leben zu füllen. Eine wahre innere Nähe verbindet ihn mit der Kunst des Mittelalters. Seine Bilderserien „Ein Zicklein“ und „Die zehn Plagen“ erinnern an den Totentanz aus jener Zeit, auch sie glänzen in ihrer einfachen Lebendigkeit. 

Manchmal kommt es vor, dass keine seiner Figuren etwas in uns erweckt, trotz ihrer bewegungsvollen und kräftigen Sprache. Sie bleiben – wie einige Bilder, z.B. „Jerimijahu“ aus letzter Zeit – in den Grenzen der Illustration biblischen Lebens. Diese „Jerimijahu“-Bilder schaffen es nur selten, den Schmerzensschrei unserer Zeit hervorzurufen. Doch was macht man mit den Bildern, die im Gegensatz zu den vollkommenen Werken nicht gelungen sind? Diese wenigen wird man vergessen, und die vielen vollkommenen werden bis in alle Tage in Erinnerung bleiben.

Die Religiosität Steinhardts kommt durch eine gewisse Starre zum Ausdruck: Seine Menschen bewegen sich hin zu den verschiedenen Ereignissen, die in seinen Bildern stattfinden, und dennoch ist die Grundhaltung in ihnen die eines kontinuierlichen Bleibens. Es ist ein Leben von sozialer Not und Armut, aber ein Leben, das so von Gott bestimmt wurde und über das nicht mehr nachzudenken ist. So nehmen sie dieses Leben an, ohne Protest gegen den Himmel. Sie nehmen das Leid auf sich, das Schicksal, das ihnen auferlegt wurde, wenn das Licht der göttlichen Vorsehung sie erleuchtet und erhebt. 

Diese Religiosität kommt im künstlerischen Sinne durch das Auferlegen der statischen Form auf die Menschen in seiner Komposition zum Ausdruck. Es gibt hier keinerlei Bewegung außer der Bewegung der Hände, und auch diese nur, um die Schwere der Klage auszudrücken. Die Betenden drängen sich als Masse aus dem Eingang des Bethauses, eilen und verschwinden in den Gassen. Und gleichzeitig stehen sie da wie Grabsteine – Symbole des Lebens auf dem Hintergrund einer jüdischen Kleinstadt.

So wurde Jakob Steinhardt zum Künstler der humanistischen Themen. So kommt er uns auch am nächsten, aus der Liebe zum jüdischen Menschen, und den Menschen im Allgemeinen, diese Liebe zieht sich als Grundmelodie durch all seine Werke.

Aus: Dvar Hapoelet vom 25. August 1947. Übersetzung aus dem Hebräischen: Michal Bondy

[1] Deutsch-israelischer Expressionist (1887–1968)