Verleihung des Hans-und-Lea-Grundig-Preises 2015
Vor mehr als 200 Gästen ist am Donnerstag, den 26. November 2015 in der Berlinischen Galerie der Hans-und-Lea-Grundig-Preis 2015 in den drei Kategorien Bildende Kunst, Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung verliehen worden. Die Veranstaltung im vollbesetzten Auditorium des Berliner Landesmuseums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur war Teil des Festprogramms zum 25. Geburtstag der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Ausgezeichnet wurde die Performance- und Video-Künstlerin Olga Jitlina (St. Petersburg) in der Kategorie Bildende Kunst für mehrere interaktive Arbeiten über die Heimatlosigkeit und Widerständigkeit von MigrantInnen in Nordamerika und Russland sowie für ihre Beteiligung an dem Projekt Russia, The Land of Opportunity — einem brettspielähnlichen Werk über das harte Los von EinwanderInnen. Zur Preisverleihung präsentierte Jitlina ihr neuestes Werk Benjamin’s Choir, das in Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Künstler Alejandro Ramirez entstand. In dem gut neunminütigen, in Gdansk angesiedelten Film setzen Laiensängerinnen und -sänger mehrere Textstellen aus der philosophischen Schrift Über den Begriff der Geschichte von Walter Benjamin in Szene — begleitet von barocker Cellomusik und Impressionen der geschichtsträchtigen polnischen Hafenstadt.
Lith Bahlmann und Matthias Reichelt (beide Berlin) erhielten den Preis für ihr Buch Ceija Stoijka (1933–2013). Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz (Nürnberg 2014) in der Kategorie Kunstgeschichte und Prof. Dr. Ines Weizman und Team (Bauhaus-Universität Weimar) für das Forschungs- und Ausstellungsprojekt Aus dem Zweiten Leben. Dokumente vergessener Architekturen / From the Second Life. Documents of forgotten Architectures in der Kategorie Kunstvermittlung. Als Laudatoren wirkten Dr. Eva Atlan (Kunstgeschichte), Dr. Eckhart Gillen (Bildende Kunst) und Oliver Sukrow (Kunstvermittlung).
In Erinnerung an die antifaschistischen Dresdner Künstler Hans Grundig (1901–1958) und Lea Grundig (1906–1977) vergab die Rosa-Luxemburg-Stiftung die mit insgesamt 10.000 € dotierte Auszeichnung für künstlerische, kunstwissenschaftliche und kunstvermittelnde Leistungen. Sie führt damit den von Lea Grundig im Jahr 1972 der Universität Greifswald selbst gestifteten, dort aber seit 1996 nicht mehr vergebenen Preis fort. Im Jahr 2012 ging der erste Hans-und-Lea-Grundig-Preis an Oliver Sukrow, der sich in seiner Masterarbeit an der Universität Greifswald mit der umstrittenen Funktion Lea Grundigs als Präsidentin des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR (1964–1970) historisch-kritisch auseinandergesetzt hatte.
Der Jury des nun nach einer internationalen, mit über 250 Einreichungen international wahrgenommenen Ausschreibung vergebenen Hans-und-Lea-Grundig-Preises 2015 gehörten als Ko-Vorsitzende die Kuratorin des Jüdischen Museums Frankfurt am Main Dr. Eva Atlan und der Berliner Kunsthistoriker und Kurator Dr. Eckhart Gillen, sowie Prof. Dr. Irene Dölling, Henning Heine, Prof. Ladislav Minarik, Dr. habil. Rosa von der Schulenburg, Oliver Sukrow, Dr. Angelika Timm und Tanya Ury an.
Der Direktor der Berlinischen Galerie, Dr. Thomas Köhler, sprach zur Eröffnung. Dr. Florian Weis, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung, würdigte in seiner Begrüßung die Aktivitäten der Grundig-Stiftung seit 2012 und dankte Dr. Thomas Flierl für sein großes Engagement bei der Neuausrichtung des Preises und als Sekretär der Jury. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, ging in ihrer Rede zum Geleit auf die Kernpunkte der Preisausschreibung Flucht, Migration, Exil und Widerstand ein und erinnerte an die Aktualität der Arbeiten von Hans und Lea Grundig für die Gegenwart. Im Anschluss sprach Dr. Thomas Flierl über das Konzept der Neuausrichtung des Preises und über das Auswahlverfahren. Oliver Sukrow stellte die Shortlist des Preises vor.
Zur Preisverleihung wurde zudem die mehrsprachige Publikation Lea Grundig: Kunst in Zeiten des Krieges der Öffentlichkeit vorgestellt. Der von Thomas Flierl herausgegebene Band enthält einen bisher weithin unbekannten Text von Lea Grundig, den die Malerin und Grafikerin im britischen Mandatsgebiet Palästina verfasst hatte, wohin sie 1939/40 als Jüdin und Kommunistin vor der Verfolgung aus Nazideutschland geflohen war. Der in Hebräisch veröffentlichte Artikel «Kunst in Zeiten des Krieges» erschien im Jahrbuch 1944/45 der linken, gewerkschaftsnahen Zeitschrift Davar (Das Wort) und liegt nun erstmalig sowohl in einer deutschen Übersetzung von Prof. Dr. Viktor Golinets (Hochschule für Jüdische Studien, Heidelberg) als auch in einer englischen Übersetzung von Noam Ben Ishie (Israel) vor. Ein einleitendes Essay von Oliver Sukrow (München/Heidelberg) bettet den Text in den biografischen und historischen Kontext ein und skizziert weiterführende Forschungsfragen. Außerdem enthält die Publikation eine Auswahl der von Lea Grundig besprochenen antifaschistischen Kunstwerke, die sich heute in Sammlungen und Museen in den USA, Großbritannien und Russlands befinden.
Der 2017 zum dritten Mal zu vergebende Hans-und-Lea-Grundig-Preis wird sich verstärkt dem Leben und Werk Hans Grundigs zuwenden. Für 2016 sind im Vorfeld der Preisausschreibung weitere Aktivitäten zur historisch-kritischen Erforschung Hans Grundigs und seiner Zeit in Dresden mit verschiedenen Kooperationspartnern geplant. Als neues stimmberechtigtes Mitglied in der Jury wird die diesjährige Preisträgerin Prof. Dr. Ines Weizman agieren. Sie ersetzt Oliver Sukrow, der die Koordination der Jury-Arbeit von Dr. Thomas Flierl übernimmt.
Thomas Flierl / Oliver Sukrow / Henning Heine