Kurzbegründungen

Die Jury des Hans-und-Lea-Grundig-Preises freut sich sehr, Cana Bilir-Meier mit dem Preis in der Kategorie Bildende Kunst auszuzeichnen.

Cana Bilir-Meier (geb. 1986 in München) zeigt in ihren Filmen, Performances und Installationen ein tiefes und kontinuierliches Engagement für die Auseinandersetzung mit den drängendsten Fragen unserer Zeit mittels visueller und textlicher Mittel.

In ihrer jüngsten Ausstellung “Stopp. Zuhören. Begegnen”, kuratiert von Chana Boekle, realisierte Bilir-Meier in Zusammenarbeit mit der HSD – Hochschule Düsseldorf, lokalen Initiativen und Anwohnerinnen eine temporäre öffentliche Skulptur in Dortmund. In dieser Arbeit greift sie die ästhetische Sprache von Verkehrsschildern auf, um Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Raum im öffentlichen Raum zu geben.

Die Jury hebt insbesondere Bilir-Meiers kraftvolles künstlerisches Engagement für gesellschaftliche und politische Themen in Deutschland sowie ihr einzigartiges Werk an der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus hervor. Bilir-Meier steht seit über einem Jahrzehnt für ein persönliches und künstlerisches Engagement von Opfern von Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Gewalt. Als Nichte von Semra Ertan, die sich aus Protest gegen systemischen Rassismus in Deutschland in Hamburg selbst verbrannte, war Bilir-Meier Mitherausgeberin des zweisprachigen Gedichtbands “Mein Mein Name ist Ausländer | Benim Adım Yabancı’“ (2020), der erstmals Texte von Ertan veröffentlicht, die zu Lebzeiten ungedruckt blieben.
Avi Feldmann/Haleh Redjajan

Den diesjährigen Preis in der Kategorie Kunstvermittlung hat die Jury Henryk Gericke mit seinem Projekt „tapetopia – GDR Undergroundtapes“ zuerkannt. Gericke, geboren 1964 in Berlin-Prenzlauer Berg, arbeitet seit sechs Jahren an dieser Kassetten- und Schallplattenserie, die eine spezifische Kunstform „in der Nische“, nämlich der DDR-Subkultur der 1980er Jahre, dem Vergessen entreißt.

Als „Untergrundkunst“ entstanden die Aufnahmen von Avantgarde-, Punk- und Postpunk-Bands und -künstlern jenseits der staatlichen DDR-Medienbetriebe und -Vertriebskanäle, privat aufgenommen und auf handelsüblichen Kassetten reproduziert, unter der Hand weitergegeben, unter dem Druck der Verfolgung durch den SED-Sicherheitsapparat. Dem wohnte ein Moment von Kurzlebigkeit und Prekarität inne. Die künstlerischen Netzwerke, Strukturen und Allianzen des „DDR-Underground“ sind durch Ausreisen, Verfolgung und Verbote in den 1980er Jahren weitgehend zerstört worden.

Mit seiner Edition, die er – selbst finanziert, mit Texten in deutscher und englischer Übersetzung – herausgibt, sichert Gericke die Aufnahmen und macht sie einer Auseinandersetzung in Gegenwart und Zukunft zugänglich. Als Künstler, der selbst Teil der Ost-Berliner Subkultur im Prenzlauer Berg war, ist er ausgewiesener Kenner der Materie. Er lenkt den Blick auf einen Aspekt der (ostdeutschen) Musikgeschichte, der oft gerade als Randnotiz erscheint. Die Jury würdigt Gerickes Arbeit als wichtigen Beitrag zur (Sub-)Kulturgeschichte, deren Akteure „ungewollte Kinder des Staates DDR“ waren, auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dem gescheiterten staatssozialistischen Versuch.
Klaus Lederer