Christoph Oeschger: „They’ve Made Us Ghosts“

Laudatio: Eckhart Gillen. NS-Dokumentationszentrum München, 7. November 2019

In der Begründung der Jury wird die Komplexität der fotografischen Arbeit von Thomas Oeschger, geboren 1984 in Zürich, hervorgehoben, mit der er die politischen Dimensionen von Architektur und Raum sichtbar macht. In seiner Bewerbung schrieb er, dass er trotz der Bilderflut auf die Möglichkeit der Kunst hoffe, ein „Stolperstein und deshalb widerständig zu sein, starre Strukturen aufzubrechen und über die Disziplingrenzen eine Wahrnehmung zu verschieben. 

Am Beispiel meiner Arbeit «They’ve Made Us Ghosts» hiess das konkret die gängigen klischeehaften (Presse)Bilder von geflüchteten zu vermeiden und nicht nur eine Opferrolle zu zeichnen sondern die Geschehnisse in konkrete politische Prozesse einzubetten und somit ein anderes Verständnis der herrschenden Verhältnisse zu schaffen.“

Oeschger fotografierte in den letzten drei Monaten vor der Räumung des informellen Flüchtlingslagers, genannt „Dschungel“/Jungle, in Calais am 24. Oktober 2016.  Etwa 10.000 Flüchtlinge waren von der Räumung betroffen. Sie wurden gegen ihren Willen auf andere Unterkünfte verteilt. Ein Bewohner sagt: „Das Leben hier im Dschungel ist etwas für Tiere, nicht für Menschen. Hier will keiner lange bleiben.“

Nach der Räumung entstanden neue, kleinere versteckte Lager in den Wäldern rund um die Autobahn. 

Die Grenzsicherungsmaßnahmen werden von England als Nicht-Schengen-Staat auf französischem Boden um den Hafen und den Eurotunnel herum finanziert. So entstand ein erster innereuropäischer Grenzzaun, der den Brexit vorweg nahm.

Seinen rund 1.330 Aufnahmen und Portraits stellt Oeschgen Bilder von französischen Grenzwachkorps, Überwachungskameras und Sicherheitsarchitekturen gegenüber, um zu zeigen, wie die Menschen, in einer militärisch überformten Landschaft in politischen Machtstrukturen gefangen gehalten werden. Er will das Grenzregime und dessen Repressionsmechanismen in ihrer Komplexität sichtbar machen und die Rolle der fotografischen Bildproduktion und deren strukturelle Bedingungen kritisch hinterfragen. Oeschgen zeigt den prekären Alltag der Bewohner_innen (Haarewaschen mit einem Schlauch, Rasieren und ihre Versuche, sich trotzdem mit fantasievollen Beschäftigungen und Spielen die Zeit zu vertreiben. 

In komplexen Montagen verschränkt Christoph Oeschger die Bilder der Lagerzäune, mit ihren Kronen aus NATO-Draht, die Aufnahmen der Überwachungskameras, die geisterhaften Bilder der Infrarot- und Röntgen-Kameras und die Momentaufnahmen der Flüchtlinge im Lager, die hier als Menschen mit ihren ganz normalen Bedürfnissen in Erscheinung treten, nicht als gefährliche Eindringlinge.

Das Ergebnis seiner Arbeit veröffentlichte Oeschger als Buch mit einem Text des französischen Architekten und Theoretikers Léopold Lambert. Lambert ist Herausgeber des Funambulist Magazines, indem er sich mit den politischen Dimensionen von Architektur und Raum auseinandersetzt. 

Der Titel der Arbeit geht auf die Antwort eines Lagerbewohners auf seine Frage, was für ihn das Schwierigste an seiner Situation sei. Er anwortete: „They made us ghosts“. Die Jury möchte den Künstler ausdrücklich ermutigen, seinen eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen.