Rachel Stern: Ausstellungs- und Publikationsprojekt „Leben ist Glühn“ — Der Expressionist Fritz Ascher
Laudatio: Angelika Timm. Albertinum/Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 8. Dezember 2017
Die Kunsthistorikerin Rachel Stern, seit 2014 ist Direktorin und Geschäftsführerin der Fritz Ascher Society für verfolgte, verfemte und verbotene Kunst mit Sitz in New York, widmet sich seit Jahren der Aufgabe, das Leben und Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern, deren Biographien aufgrund von Verfolgung, Leben im Untergrund, Haft oder Exil nicht geradlinig verliefen, dem Vergessen zu entreißen und zu würdigen.
Seit 1990 hat sie das Leben und Werk des aus Berlin stammenden und von den deutschen Nationalsozialisten verfolgten und verfemten Expressionisten Fritz Ascher (1893–1970) erforscht. Ein beeindruckendes Ergebnis ihrer Recherchen ist der knapp 300 Seiten umfassende Bild- und Textband „Der Expressionist Fritz Ascher: Leben ist Glühn“, veröffentlicht 2016 durch den Wienand-Kunstbuch-Verlag in Köln. Er enthält ca. 100 Zeichnungen, Gouachen und Gemälde aller Schaffensphasen Aschers sowie eine Vielzahl von Dokumenten und Fotos. Hervorhebenswert ist ferner die Publikation bisher weitgehend unbekannter Gedichte des Künstlers. Neben den biografischen Ausführungen der Autorin, betitelt „Fritz Ascher: Ein Leben in Kunst und Dichtung“, werfen vier weitere wissenschaftliche Artikel Licht auf unterschiedliche Schaffensperioden.
Sterns eingereichte Arbeit stellt nicht nur die erste wissenschaftliche Kontextualisierung Fritz Aschers dar, sondern sie würdigt diesen fast vergessenen Vertreter der Moderne auch in einer umfangreichen Wanderausstellung, die bislang in Osnabrück und Chemnitz zu sehen war und nunmehr in Berlin und Potsdam gezeigt wird.
Der 1893 in Berlin geborene Fritz Ascher studierte, hochtalentiert, auf Empfehlung von Max Liebermann in Königsberg, Berlin und München und war mit der deutschen Avantgarde persönlich vertraut und eng verbunden. Aus einer assimilierten jüdischen Familie stammend, wurde er von den Nationalsozialisten aufgrund seiner Herkunft, jedoch auch als entarteter Künstler und politisch Verdächtiger verfolgt und zeitweise interniert. In einem Versteck in Berlin-Grunewald überlebte er die NS-Zeit. Seine im Untergrund verfassten Gedichte atmen Lebensfreude, sind aber auch ein Aufschrei angesichts von Krieg und Verfolgung. „Hunger und Angst verließen ihn nie“, schreibt Rachel Stern über diese Zeit. Das Leben im Versteck prägte die künstlerischen Arbeiten Aschersauch nach 1945. Den Menschen ausweichend wandte er sich nunmehr vor allem der Natur zu.
Rachel Stern gebührt nicht nur das Verdient, den Expressionisten Fritz Ascher wiederentdeckt und der internationalen Öffentlichkeit erstmals das gesamte Spektrum seines künstlerischen Schaffens vorgestellt zu haben, sondern sie hat auch den Menschen Ascher hinter den Kunstwerken sichtbar gemacht. Ihr Bestreben, einen Künstler, dessen Schaffenskraft durch die Nationalsozialisten zerstört oder eingeschränkt wurde, ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen, verbindet sich zudem mit der generelleren Aussage und Hoffnung, der menschliche Geist widerstehe der Barbarei und triumphiere letztlich über das Böse.
Rachel Stern legt mit ihrer deutsch-englischen Publikation eine wichtige Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit der deutschen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen und mit dem Schicksal der „vergessenen Generation“ von Künstlerinnen und Künstlern der Avantgarde im Speziellen. Sie trägt dazu bei, Wahrnehmungslücken in der deutschen Kunstgeschichte, die insbesondere bezüglich relativ unbekannter Vertreterinnen und Vertreter des Expressionismus existierten und existieren, zu schließen. Buch und Ausstellung leisten auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Zugleich stellt Sterns Arbeit eine Mahnung an die heutige Generation dar. Wie sie in ihrem Vorwort schreibt, bedeuten „die Entdeckung von Fritz Aschers Kunst und Gedichten und ihre zunehmende öffentliche Wahrnehmung und kunsthistorische Aufarbeitung […] den Triumph einer individuellen kreativen Vision über politische Unterdrückung.“